2013-11-20 Kommunalpolitischer Kongress 2013

Strategische Fragen zur Kommunalpartnerschaft in Europa

deutsch-polnischer AKP-Kongress tagte in der Abtei Brauweiler

 

 

Das Gelingen von Tagungen, die über die reine Fach- und Sacharbeit hinausgehen, die vielmehr philosophische oder politische Grundgerüste betreffen, hängt oft auch von der Aura des gewählten Tagungsortes ab. Das gilt vor allem dann, wenn die zu diskutierenden Themen große Reibungsflächen bieten, so wie noch vor 10 Jahren die deutsch-polnischen Beziehungen oder heute Fragen zur Zukunft Europas.

Mit just diesen Themen hat sich die deutsch-polnische Arbeitsgemeinschaft Kommunalpolitische Partnerschaft (AKP) im Rahmen ihres jährlichen deutsch-polnischen Kommunalpolitischen Kongresses am 11.-13. Oktober 2013 im Gierden-Saal der Abtei Brauweiler bei Köln befasst. Auch dieser Tagungsort war mit Bedacht gewählt: die Abteikirche wurde einst von der polnischen Königin Richeza gestiftet, einer Enkelin Kaiser Otto II. aus dem Geschlecht der Ezzonen, die beide Nationen miteinander verbindet.

Die AKP arbeitet gezielt solche positiven Verknüpfungen in der deutsch-polnischen Geschichte heraus, denn sie sieht sich mit ihrer Kongressinitiative dem europäischen Geist verpflichtet. So blicken im Logo der Organisation auch die Adler beider Länder konsequent Flügelblatt an Flügelblatt auf Europa.

Der von der AKP ausgerichtete und von der Bundesregierung aus Mitteln des BMI geförderte deutsch-polnische Kommunalpolitische Kongress diskutierte über "Die europäische Vision - Der Wert der Partnerschaftsbewegung in der Krise". Mehr als 60 Landräte, Bürgermeister, Regional- und Kommunalpolitiker aus Deutschland und Polen sowie Vertreter ostdeutscher Heimatkreisgemeinschaften und der deutschen Minderheit in Polen waren zu diesem Zweck in Brauweiler zusammengekommen, darunter starke Delegationen aus den Wojewodschaften Oppeln und Ermland-Masuren.

An Referenten konnte AKP-Vorsitzender Bernd Hinz politische Größen wie den früheren NRW-Ministerpräsidenten Dr. Jürgen Rüttgers, Staatssekretär a.D. Dr. Bernhard Worms, den Präsidenten des Deutschen Landkreistages Hans Jörg Duppré oder den Direktor des Polnischen Städtetages Andrzej Porawski begrüßen. Letzterer ist in Polen eine erstrangige kommunalpolitische Schlüsselfigur, dessen Stab partiell auch den Polnischen Landkreistag mit betreut. Doch auch der Rat der Gemeinden und Regionen in Europa (RGRE) zeigte sich an dem Kongress interessiert. Sein deutsch-polnischer Partnerschaftsausschuss war gleich mit mehreren Vertretern aus beiden Ländern angereist, wie etwa der langjährige Stadtpräsident von Auschwitz, Janusz Marszalek, und der Kreistagsvorsitzende des Main-Taunus-Kreises, Wolfgang Männer.

Welches Gewicht dem AKP-Kongress in der deutschen Kommunalpolitik beigemessen wird, demonstrierte der trotz angeschlagener Gesundheit angereiste Präsident des Deutschen Landkreistages, Hans-Jörg Duppré, der in seinem Vortrag die deutsch-polnischen Beziehungen als wichtige Säule für Europa und die Partnerschaften als zentrales Mittel zur Vertiefung der Beziehungen herausarbeitete. Dabei ließ Duppré auch die wirtschaftliche Komponente nicht außer Acht. "Eine noch engere Verzahnung von Verwaltung und Planung in den nächsten Jahren wird eine wesentliche Voraussetzung dafür schaffen, die zentrale Lage beider Länder innerhalb der EU für mehr Wachstum und Innovation zu nutzen", so Duppré. Daran arbeite der Deutsche Landkreistag, indem über den jetzt vom Polnischen Landkreistag unterzeichnete Zusammenarbeitsvertrag eine vertiefte Kooperation möglich sei. "Für eine starke Europäische Union sind Initiativen wie der AKP, die zu einem aktiven Austausch anregen, unumgänglich", dankte Duppré abschließend der AKP für ihr Wirken.

Der amtierende polnische Generalkonsul in Köln, Jan Sobczak, beteuerte, dass gerade auch für ihn "die deutsch-polnischen Städtepartnerschaften eine besondere Herzensangelegenheit" seien. Sie seien der "wichtigste Baustein in den deutsch-polnischen Beziehungen. Sobczak betonte, dass es wichtig sei, neue "wichtige Angebote für die Jugendlichen" zu entwickeln. In diesem Zusammenhang wies Bernd Hinz auf die immerhin 18 Kommunalpartnerschaften zwischen ostdeutschen Heimatkreisgemeinschaften und polnischen Gebietskörperschaften hin - ein beredter Ausdruck der Verständigungspolitik der Vertriebenen auf Ebene der Heimatkreisgemeinschaften.

Ein Pionier im Bereich der Kommunalpartnerschaftsbewegung zwischen beiden Ländern ist der ehemalige Landrat des Rhein-Erft-Kreises Werner Stump. Er bezeichnete die einstige Suche nach einem passenden Partner in Polen als kleines Abenteuer. Die heutige Partnerschaft seines Kreises zum Landkreis Bielsko-Biala/Bielitz sei keine "Reisepartnerschaft für Politiker", sondern zeichne sich durch Fach- und Sachaustausch aus. Stump bestätigte mit eigenen Erfahrungen zudem eine Einschätzung der AKP, dass es heute kein Problem mehr sei, gemeinsam mit seinen polnischen Partnern auch nach noch unentdeckten deutschen Kriegsgräbern zu suchen, sich also der schwierigen deutsch-polnischen Geschichte auch ganz praktisch zu nähern.

Nordrhein-Westfalens Alt-Ministerpräsident und Bundesminister a.D. Dr. Jürgen Rüttgers ging auf die Frage nach der möglichen Führungsrolle Deutschlands in Europa ein. Eine solche Führung habe ihm gegenüber etwa der US-Kongressabgeordnete Barney Frank von Deutschland eingefordert. Die USA hätten genug für die Sicherheit Europas getan und dafür nun auch kein Geld mehr. Die Deutschen sollten aufhören, über den Holocaust zu sprechen und nun die Führung in der EU übernehmen. Auch wenn der US-Politiker, auf den der Dodd-Frank-Act (2009, Regulierung der US-Finanzmärkte) zurückgeht, wohl gemeint haben dürfte, die Deutschen sollten ihre Politik nicht mehr grundsätzlich über den Holocaust definieren, so habe Rüttgers dieses Ansinnen zurückgewiesen. Das Gespräch habe gezeigt, dass Europa derzeit im Wege der Umverteilungs- und Finanzierungsthemen auf eine Macht- und Margenfrage reduziert werde. Dabei sehe Rüttgers einen "Trend hin zur Re-Nationalisierung" in Europa. So stellten sich in vielen Ländern zunehmend Fragen wie Integration und Rechtspopulismus. Deshalb sei es so wichtig, auf die positiven Entwicklungen in der Nachkriegszeit hinzuweisen. "Seit Adenauer verfolgen wir eine Politik, in der wir uns als Volk verstehen, das sich ohne Wenn und Aber für die europäische Integration entschieden hat", so Rüttgers.

Rüttgers Beitrag sorgte für eine Diskussion über die Bewertung von Europakritik, die an beiden Tagen aufflammte. Dabei bestand im Plenum Einigkeit, dass berechtigte Kritik an Konstruktionsfehlern der EU und insbesondere auch der Währungsunion keine europafeindliche Haltung sei. "Gerade wer für Europa ist, der muss Fehler auch offen bekennen", so ein Teilnehmer. Die Erfolge der Alternative für Deutschland (AfD) habe Ursachen und man müsse für ein Vorankommen bereit sein, im Zweifel auch einmal einen Schritt zurückzugehen, so ein weiterer Diskussionsbeitrag. Die Debatte bestätigte das Bestreben der Delegierten, nicht über das "ob" der Europäischen Integration sprechen zu müssen, sondern über das "wie". Schon auf dem Hambacher Kongress der AKP im Jahr 2011 hatte Baden-Württembergs Alt-Ministerpräsident Dr. Erwin Teufel ungewohnt scharf die EU-Kommission für fehlende Transparenz und Unterminierung des Subsidiaritätsprinzips kritisiert. Ein Votum, das den zustimmenden Applaus der deutschen und polnischen Kommunalpolitiker erhalten hatte.

Dr. Bernhard Worms, der unmittelbar über das Tagungsthema referierte und dabei vor allem aus seiner christlichen Grundhaltung heraus Adenauers Leitthese "Europa ist die einzige Antwort auf all die ungelösten Fragen" in den Fokus setzte, hielt im Zusammenhang mit zunehmenden Protestwahlergebnissen in Europa berechtigte Kritik an der Konstruktion Europas für zulässig. Der ehemalige Staatssekretär des seinerzeitigen Bundesarbeitsministers Norbert Blüm ist heute Präsident der Europäischen Senioren Union. Worms zeigte sich von der Sinnhaftigkeit der AKP-Tagung überzeugt und dankte dem AKP-Vorsitzenden Bernd Hinz für sein Wirken.

Eine enge Kooperation mit Worms pflegt auch der ehemalige Stadtpräsident von Auschwitz, Janusz Marszalek, der über die Gründung der Polnischen Senioren-Union und das geplante Friedenszentrum (Erinnerungs- und Gedächtnishügel zu Ausschwitz) berichtete. Marszalek ist zudem Vorsitzender der polnischen Sektion im deutsch-polnischen Ausschuss der RGRE, in dem auch die AKP mitwirkt.

Ein Akt der besonderen Würdigung war der Empfang im Hansesaal des historischen Rathauses der Stadt Köln durch Bürgermeister Hans-Werner Bartsch. Oberbürgermeister Jürgen Roters, von einem Partnerschaftsabend (Köln-Barcelona) kommend, traf zufällig auf die Kongressdelegierten und ließ es sich nicht nehmen, spontan die Delegierten persönlich in Empfang zu nehmen und seinen Stellvertreter gewissermaßen anzumoderieren. Einige Delegierte nutzten die Gelegenheit, vor dem Diner im renommierten Lokal "Em Krützsche", in dem auch schon die G8-Regierungschefs gespeist hatten, noch im Dom die Grablage Richezas aufzusuchen. Über Richeza selbst und die über die Geschichte der Abtei berichtete der ehemalige Oberkreisdirektor des früheren Landkreises Köln, Dr. Karlheinz Gierden. Nach ihm ist auch der Tagungssaal benannt. Neben der Stadt Köln entbot auch das Land Nordrhein-Westfalen sein Willkommen.

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hatte eigens Europa-Staatssekretär Dr. Jan-Marc Eumann nach Brauweiler entsandt, der die besondere Stellung Nordrhein-Westfalens als Heimat für Rheinländer, Westfalen, Lipper, für Polen und für Heimatvertriebene heraushob. NRW habe eine eigene Partnerschaft zur Region Niederschlesien und sei stolz auf das Oberschlesische Landesmuseum in Ratingen.

Einen ganz praktischen Beitrag für mehr Kooperation bot der Geschäftsführer der MedEcon Telemedizin GmbH, Marcus Kremers. Er stellte das große Telemedizin-Netzwerk MedEcon Ruhr mit 124 angeschlossenen Kliniken und Institutionen vor, das via Telemedizin die Koordinierung der Kommunikation von Fachabteilungen diverser Krankenhäuser über einen zentralen Server und einheitliche Software ermögliche. So könnten Informationen wie die Krankengeschichte von Patienten ad hoc abgerufen werden. Mehrere Institutionen hätten bereits Interesse an einer deutsch-polnischen Kooperation signalisiert, u.a. ein an der Universitätsklinik Münster arbeitender polnischer Spezialist für den sensiblen Bereich der Kinder-Herzchirurgie.

Einer der Höhepunkte des Kongresses war der Beitrag von Andrzej Porawski. Der Direktor des Polnischen Städtetages ist ein echtes politisches Schwergewicht bei der Vertretung kommunalpolitischer Interessen gegenüber der Zentralregierung in Warschau. Er stellte in seinem Vortrag "Die Kommune in Europa - Tritt neben die kulturelle Partnerschaft eine strategische?" vier Herausforderungen für die polnische Selbstverwaltung in den Mittelpunkt:

1. Die Folgen der Globalisierung mit der Finanzkrise zöge in Polen eine stärkere Zentralisierung nach sich berühre die Fiskal- und Haushaltsautonomie der Kommunen.

2. Die demografische Entwicklung habe eine sinkende Erwerbstätigkeit und die steigende Inanspruchnahme der Grundsicherung zur Folge. Der Altersdurchschnitt der Bevölkerung steige in den kommenden Jahren in Polen von 38 auf 48 Jahre,

3. Im Hinblick auf kommunale Fragen fehle es an Transparenz im Handeln der zentralen Behörden.

4. Der wirtschaftliche Umbau werde nicht von der staatlichen Gewalt, sondern von den freien Märkten bestimmt. Polen benötige eine europäische kommunale Solidarität, schlussfolgerte Porawski. Hierzu könnten Partnerschaften einen wichtigen Beitrag leisten.

Ein Vortrag, der - wie auch die Themen und Referenten des Kommunalpolitischen Kongresses insgesamt - den Nerv der Teilnehmer traf und in Zukunft noch vertieft werden soll. Vor diesem Hintergrund will die AKP in Kooperation mit dem Polnischen Städtetag, dem Deutschen Landkreistag und der RGRE den nächsten deutsch-polnischen Kommunalpolitischen Kongress im Jahr 2014 in Posen ausrichten, wo der Polnische Städtetag seinen Sitz hat. Die ersten Vorgespräche hierzu haben bereits stattgefunden.

 

Bernhard Knapstein